Übermorgen

Eine Zeitreise in unsere digitale Zukunft

Kapitel 4

Den Umsatz von morgen machen
die Andersdenkenden von heute

In diesem Kapitel

… gehen wir auf die Disruption und deren mögliche Folgen ein. Was bedeuten disruptive Technologien für Sie und Ihr Unternehmen?

Wann kommt «Ihre» Disruption?

Vor rund 150 Jahren gab es erste Firmen, die Eisblöcke hergestellt und verkauft haben. Damit konnte man verderbliche Güter dank der Kühlung mit Eisblöcken weiter als bisher transportieren und länger lagern.

Wieso gibt es heute bei uns in der westlichen Welt keine Firmen mehr, die Eisblöcke zum Beispiel an Hotels und Restaurants verkaufen?

Früher wurden Eisblöcke hergestellt und verkauft. (Bildquelle: Fotolia-39121659-L)

Heute brauchen wir, zumindest in der westlichen Welt, diese Firmen nicht mehr, weil wir die Kühlkette dank Kühl- und Eisschränken anders aufrechterhalten können. Noch bis in die 60er-Jahre gab es in Deutschland nur in rund einem Drittel der Haushalte einen Kühlschrank, heute hingegen in fast jedem. Das macht Eisblöcke überflüssig und somit auch die Firmen, die diese herstellen. Die disruptive Technologie war somit der Kühlschrank.

Wann waren Sie das letzte Mal in einer Telefonzelle? Das ist vermutlich lange her. Möglicherweise haben Sie eine Telefonzelle aufgesucht, um in Ruhe Ihr Smartphone benutzen zu können. Aber das zählt natürlich nicht. Die disruptive Technologie hierzu ist das mobile Telefon.

Früher haben Hotels mit den Telefongebühren einiges verdient, heute praktisch nichts mehr. Die Gäste haben heute alle ein mobiles Telefon und benutzen die Telefone in den Hotelzimmern nicht mehr.

Womit schiessen Sie heute die meisten Fotos? Vermutlich mit Ihrem Smartphone. Vor wenigen Jahren nutzten Sie vermutlich eine Kompaktkamera. Die Kameras in den Smartphones sind heute so gut, dass man die Kompaktkamera getrost zu Hause lassen kann. Einzig eine Spiegelreflex- oder Systemkamera kann noch Sinn machen, denn die Qualität ist doch um einiges besser. Hier ist die disruptive Technologie die eingebaute Handykamera. Die mit dem Smartphone geschossenen Bilder kann man sogar gleich in die Cloud hochladen lassen und die Bilder sofort mit Freunden teilen.

Früher musste man mühsam den Film entwickeln lassen, wartete meist eine Woche, bis man die ausgedruckten Bilder bekam und sah erst dann, ob sie auch gut geworden waren. Dann klebte man sie in ein Album und zeigte dieses beim nächsten Treffen seinen Freunden. Das war unglaublich umständlich.

Die Disruption war, dass zuerst die Kameras digital wurden und später verschwanden sie in den mobilen Telefonen.

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Was ist Disruption?

Erinnern Sie sich noch an Kodak? Ja genau, diese Firma, die früher den Markt für analoge Kameras und chemische Filme dominiert hat? Kodak machte bereits 1962 über eine Milliarde US-Dollar Umsatz, hatte 1996 auf dem amerikanischen Markt 90 Prozent Marktanteil und erzielte 1991 fast 20 Milliarden Dollar Umsatz (https://de.wikipedia.org/wiki/Kodak). Wie konnte so ein starkes Unternehmen plötzlich den Bach runtergehen?

Die Disruption wird an Konferenzen und Lehrveranstaltungen meist am Beispiel von Kodak erklärt. Man könnte, ohne den Hintergrund zu kennen, annehmen, dass Kodak den Entwicklungssprung der Digitalfotografie verpasst hat. Das Gegenteil ist aber der Fall. Kodak hat selber schon 1976 die erste digitale Kamera entwickelt, die damals aber noch zu schwer und zu teuer, also nicht für den Massenmarkt fähig war. Die Kamera sah aus wie ein Toaster, brauchte 20 Sekunden, um ein Bild zu schiessen und war in der Anwendung viel zu kompliziert. Es wird auch oft vermutet, dass Kodak zu wenig in die neue Technologie investiert hat. Gemäss der «Harvard Business Revue» vom Mai 2002 investierte Kodak aber Milliarden in die neue Technologie (https://hbr.org/2002/05/disruptive-change-when-trying-harder-is-part-of-the-problem).

Vermutlich waren es auch Managementfehler und interne Widerstände gegen die neue Technologie. Es ist nicht mein Ziel, in diesem Buch zu diskutieren, was letztlich zum Ende von Kodak geführt hat. Wichtiger scheint mir zu zeigen, dass auch grosse und mächtige Firmen einer disruptiven Technologie zum Opfer fallen können.

Grosse Firmen haben oftmals nicht mehr den Hunger nach Neuem wie zum Beispiel Start-ups. Neue Entwicklungen werden auch intern heftig diskutiert. Die Vertreter der alten und erfolgreichen Technologien gewinnen oftmals gegen die Vertreter der neuen Entwicklungen. Grossen Firmen fehlt die Start-up-Kultur, denn sie haben Manager und keine Unternehmer in ihren Reihen. Die Denkweise eines Managers ist eine andere.

Was ist der Unterschied zwischen einem Manager und einem Unternehmer?
G
anz einfach: Der Unternehmer gibt sein eigenes Geld aus.

Der Unternehmer, der von seiner Idee überzeugt ist, ist bereit, sein letztes Hemd zu verwetten. Doch braucht er oftmals Risikokapital, um mit seinen Mitstreitern die Idee umzusetzen. Diese Denkweise fehlt meist in den grossen Unternehmen. Man ist ja schliesslich Marktleader und die Umsätze stellen sich fast automatisch ein … bis … eben, bis eine neue Technologie die alte verdrängt. Zuerst äussert man sich eher abschätzig über das Neue, das eben noch nicht gut genug ist. Die ersten Digitalkameras, die auf den Massenmarkt kamen, hatten eine Auflösung von nur einem Megapixel. Für heutige Verhältnisse war das wirklich unbrauchbar. Neue Entwicklungen werden zu rasch in der Luft zerrissen. Man findet schnell viele Argumente, die dagegensprechen. Doch vergisst man, dass sich alles entwickelt. Die ersten Autos sahen auch noch wie Kutschen aus, und heute? Eben. Wenn Sie eine disruptive Technologie zu früh negativ beurteilen und gleich wieder vergessen, werden Sie möglicherweise von dieser aufgefressen werden.

Gemäss Wikipedia ist eine disruptive Technologie (engl. disrupt – unterbrechen, zerreissen) eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt (https://de.wikipedia.org/wiki/Disruptive_Technologie).

Die Disruption in der Verlagsbranche

Rupert Murdoch sagte noch 2009 «The current days of the internet will be over soon», was sinngemäss heisst, dass die Tage des Internets schon bald gezählt seien (http://www.informationliberation.com/?id=26758).

Doch wie wir wissen, kam alles anders. Die Verlage haben versucht, ihr Geschäftsmodell zu retten und gegen das Internet zu verteidigen. Jahrelang hatte man Berichte recherchiert, verfasst und diese in den Printmedien veröffentlicht. In den Printmedien konnte man gut bezahlte Anzeigen schalten. Die Anzahl der Konkurrenten war überschaubar. Zudem konnte man Abonnements an die Leserschaft verkaufen. Dieses Geschäftsmodell hat jahrelang sehr gut funktioniert, bis das Internet mit seiner Gratiskultur aufkam. Die Leute gewöhnten sich daran, Berichte und Artikel online zu konsumieren, und zwar ohne dafür bezahlen zu müssen.

Die Verleger wollten ihr Geschäftsmodell mit einer Bezahlschranke, den sogenannten Paywalls oder Metered Paywalls, schützen und sich damit für ihre Inhalte auch online bezahlen lassen. Marc Walder, Chef von Ringier, dem grössten Verlagshaus der Schweiz, wollte noch 2013 eine Bezahlschranke für die Boulevardzeitung «Blick» einrichten. Er kündigte das mit der Bemerkung an, dass es «ein historischer Geburtsfehler» gewesen sei, Inhalte im Netz zu verschenken, der nun korrigiert werden müsse (http://www.blick.ch/news/wirtschaft/medien-blick-fuehrt-bis-im-herbst-2013-eine-internet-bezahlschranke-ein-id2125212.html). Die Bezahlschranke beim Blick gibt es meines Wissens nicht mehr.

Trotzdem haben gerade die grossen Verlage den Übergang vom alten zu neuen Geschäftsmodellen in der Regel gut gemeistert; diese machen heute einen hohen Anteil am Gesamtumsatz aus. Das war nicht immer so.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kurzen autobiografischen Einschub? Ich habe selber als Mitgründer der Stellenplattform jobwinner.ch erlebt, wie das in einem grossen Konzern ablaufen kann. Zu zweit haben wir damals im Jahr 1998 Jobwinner gegründet. Jobwinner war ein kleiner Stellenbewerbungsservice. 1999 wurden wir von der Tamedia AG, dem zweitgrössten Medienhaus der Schweiz, übernommen. Es gab Prognosen, dass wegen des Internets rund 30 Prozent der Rubrikenanzeigen (Stellen, Immobilien, Autos, Kleinanzeigen) ins Internet abwandern würden.

Es wurde eine eigene Firma, die Winner Market AG gegründet, die den Bereich Onlineanzeigen mit damals sechs Internetportalen (Jobwinner, Immowinner, Carwinner, Partnerwinner, Pricewinner, Auctionwinner) aufbauen sollte. Von den konzerninternen Kollegen der Printanzeigen wurden wir heftiger bekämpft als im Markt draussen. Das war mir eine Lehre. Wir haben uns damals übernehmen lassen, weil wir dachten, dass uns die grossen Verlage mit sehr viel Geld gefährlich werden könnten. So haben wir aus Respekt vor der Zukunft wahrscheinlich zu früh verkauft. Auch war unser Mitbewerber jobs.ch damals etwas vor uns gestartet. Die haben sich nicht zu früh kaufen lassen. Jahre später wurden sie von den beiden grossen Verlagen der Schweiz, Ringier und Tamedia, für 390 Mio. Schweizer Franken gekauft (http://www.nzz.ch/tamedia-und-ringier-uebernehmen-jobsch-1.17596178).

Wenn ich Ihnen hier einen Ratschlag geben darf, dann den: Verkaufen Sie nicht zu früh, wenn Sie als Start-up unterwegs sind. Es braucht immer mehr Durchhaltewillen, als man sich zu Beginn vorstellt. Die Businesspläne sind immer zu optimistisch, sodass das Geld früher ausgeht. Ich bereue den Verkauf von damals nicht. Es war doch der richtige Zeitpunkt. Ich habe damals als CIO sehr viel gelernt. Dafür bin ich heute sehr dankbar.

Die grossen Verlage haben also den Übergang zu den digitalen Geschäftsmodellen meist gut vollzogen. Wissen Sie, wem das Businessnetzwerk XING gehört? XING gehört dem Burda-Verlag, der Hubert Burda Media. Wissen Sie, wem das grösste Onlinereisebüro Deutschlands, Holidaycheck, gehört? Holidaycheck gehört ebenfalls zu Burda (https://www.burda.com/de/marken/). Zumindest die Leserinnen kennen Burda wahrscheinlich noch als Frauenzeitschrift. Burda nennt sich heute «eine Tech und Media Company».

Burda machte 2015 in digitalen Geschäftsfeldern rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/193089/umfrage/digitaler-umsatz-von-hubert-burda-media-seit-2006/), was rund der Hälfte des Gesamtumsatzes von 2,2 Milliarden Euro entspricht (https://de.wikipedia.org/wiki/Hubert_Burda_Media).

Kleinere Verlage haben es sehr viel schwieriger. Die Mittel sind begrenzt und meist ist auch der Markt viel kleiner und regional. Das Internet ist ein Medium, das Grenzen überschreitet. Für diese Verlage ist es oft schon ein Hindernis, die bestehenden Gebietsgrenzen, die durch die früheren Printprodukte gegeben waren, zu überschreiten. Wenn man nicht national oder gar international handeln kann, kann man auch die Skaleneffekte nicht nutzen. Ich kann davon ein Lied singen, denn ich bin in einem kleineren Verlag als Verwaltungsrat tätig und versuche, den Verlag in die digitale Zukunft zu begleiten. Leider scheitert es meist am regionalen «Mindset», über die Grenzen hinaus denken zu können und zu wollen. (Entschuldigt bitte liebe VR-Kolleg/-innen, wenn ihr das lest. Es kommt aus tiefster Seele eines Digitalen.)

Wie schnell kommt «Ihre» Disruption?

Gewisse Branchen wie die Medienbranche haben ihre Disruption schon fast hinter sich.

Broschüren wie «Überlebensstrategie Digital Leadership» und Analysen von Heads! Executive Consultancy und Deloitte Digital kommen zum Schluss, dass sich die Branchen in einem Portfolio in vier Bereiche einteilen lassen. Es gibt dabei die lange und die kurze Lunte und der grosse und der kleine Knall.

Disruption Map nach Industrien (Quelle: Broschüre «Überlebensstrategie Digital Leadership» und Analysen von Heads! Executive Consultancy und Deloitte Digital, April 2015)

Je nach Quadrant wird Ihre Branche langsamer oder schneller und lauer oder heftiger von der Disruption betroffen sein:

  • Quadrant unten rechts: Die Branchen Bergbau, ÖL, Gas, und Chemie müssen sich wegen der Digitalisierung weniger Sorgen machen. Darum sind sie sind im Quadranten lange Lunte/kleiner Knall eingeteilt.
  • Quadrant unten links: Das Bauwesen wird vermutlich bald einmal von der Digitalisierung betroffen sein, der Knall dürfte eher klein sein.
  • Quadrant oben rechts: Grossen Einfluss (grosser Knall), dafür etwas später (lange Lunte), dürfte die Digitalisierung in den Branchen Regierung, Energieversorgung, Produktion, Landwirtschaft, Gesundheits- und Transportwesen haben.
  • Quadrant oben links: Am meisten Sorgen müssen sich Unternehmen und ihre Mitarbeitenden in den folgenden Branchen machen: Einzelhandel, IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien), Medien, Freizeit und Reisen, Banken, Versicherungen, Professional Services, Gastronomie, Bildung und Immobilien. Dort wird die Lunte als kurz und der Knall als gross erwartet. Es geht also schnell und heftig.

Nehmen wir exemplarisch die Branche «Freizeit & Reisen». Welche disruptiven Technologien und Konzepte sind hier absehbar? Kennen Sie UBER? Aber sicher. Wir haben UBER schon im Kapitel 3 unter den digitalen Megatrends der selbstfahrenden Autos und Drohnen kurz erwähnt. UBER ist ja kein Taxiunternehmen, sondern möchte den Transport neu organisieren. UBER wird eine solche disruptive Kraft in dieser Branche sein.

Ein zweites Beispiel gefällig? Airbnb ist das zweite Beispiel. Davon haben Sie bestimmt auch schon gehört. Airbnb vermittelt Betten in Unterkünften zwischen Anbietern und Bettensuchenden und das weltweit. Airbnb besitzt kein einziges Bett, sie vermitteln nur. Gemäss Wikipedia ist Airbnb ein 2008 im kalifornischen Silicon Valley gegründeter Community-Marktplatz für Buchung und Vermietung von Unterkünften, ähnlich einem Computerreservierungssystem. Nach eigenen Angaben stehen auf der Website über zwei Millionen Angebote in über 190 Ländern zur Buchung zur Verfügung (Stand: Februar 2016). Das wird von den Hotels sehr argwöhnisch betrachtet, denn jeder kann selber bei Airbnb Anbieter einer Unterkunft werden, indem Sie sich dort einschreiben, Ihre Unterkunft mit schönen Bilder und Texten beschreiben und warten, bis jemand Ihr Zimmer bucht. Das ist natürlich eine grosse Konkurrenz für die Hotels, wenn auch Private ihre Unterkünfte über diese Plattform anbieten.

Airbnb hat im Oktober 2016 zusätzliche 555 Millionen US-Dollar an Risikokapital eingenommen, um den weiteren Ausbau der Plattform zu finanzieren. Google Capital, eine Tochterfirma von Alphabet, der Holding von Google, hat sich an der Finanzierungsrunde beteiligt. Das Start-up hat damit einen Wert von 30 Milliarden US-Dollar erreicht. Am 20. Dezember 2016 wurde ausserdem bekannt, dass Airbnb Flugbuchungen anbieten möchte.

Und es geht bei beiden, UBER und Airbnb, extrem schnell, also kurze Lunte mit grossem Knall.

Disruption in der Bankbranche

Auch die Banken sind gemäss der «Disruption Map nach Industrien» etwas weiter oben im Quadranten links oben mit kurzer Lunte und grossem Knall aufgeführt. Hier stehen verschiedene Technologien an, die disruptives Potenzial haben: Roboadvisor und die Blockchain.

Roboadvisor

Wenn wir uns an die digitalen Megatrends aus Kapitel 3, Roboter, Bots und künstliche Intelligenz, erinnern, dann muss es heute einem Bankmitarbeiter angst und bange werden. Seinen Job wird es in einigen Jahren möglicherweise nicht mehr geben.

Ich war vor einigen Monaten an einem Anlass an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). Dort ging es um das Thema Roboadvisor. Als der Moderator die rund 400 Zuhörer/-innen fragte, wer Angst habe, dass es seinen Job in einigen Jahren nicht mehr gäbe, zeigten nur etwa zehn Personen an, also zwei bis drei Prozent. Als der Moderator fragte, ob jemand das Gegenteil, also, dass es mehr Berater/-innen brauche, zeigten das zu meinem grossen Erstaunen auch einige Personen an. Da kann ich nur kopfschüttelnd sagen, willkommen in der Realität. Ich bin der festen Überzeugung, dass es in Zukunft nur noch wenige menschliche Berater brauchen wird.

Erinnern Sie sich an den IBM-Computer Watson aus Kapitel 3, der die besten Jeopardy-Spieler schon vor Jahren schlug, oder an den kleinen Roboter, der Auskünfte über Hypothekarprodukte erteilt, oder an Sophie, die Roboterfrau, die schon philosophische Fragen beantworten kann? Wir sind nahe dran, dass Roboter mehr als nur FAQ-Fragen beantworten können.

 

Die Bankberater müssen sich ernsthafte Gedanken machen. Sie werden wohl die nächsten sein, die weggeUBERt werden. 

Meine Bank 2030 ist eine App

Mit den Zukunftsthemen beschäftige ich mich schon seit Jahren. Ich war aber trotzdem einigermassen überrascht, als ich von der UBS an Referatsanfrage bekam. Ich sollte im Oktober 2015 für die Ostschweizer Führungskräfte der UBS ein längeres Referat auf dem Wolfsberg, der Kaderschmiede der UBS, am schönen Bodensee halten. Da habe ich mir intensiv Gedanken gemacht, wie Banking in Zukunft aussehen könnte.

Es gibt meines Erachtens zwei Ausrichtungen:

  • Die eine Ausrichtung umfasst Produkte und Dienstleistungen, die die Banken selber in der Hand haben. Sie können selber Prozesse, vor allem die Kundenprozesse, ständig optimieren und sich so von der Konkurrenz versuchen abzuheben.
  • Die andere Ausrichtung haben sie vermutlich nicht selber in der Hand, denn es kommt mit der Blockchain einiges an Ungemach auf sie zu. Dazu aber später mehr.

Meine nun folgende Aussage ist nicht revolutionär oder gar «rocket science» (Raketenwissenschaft), wie die Amerikaner zu sagen pflegen. Die Entwicklung dazu ist jedoch absehbar. Die Anzahl der Bankfilialen nimmt laufend ab. Die Leute beziehen ihr Geld am Automaten und die Geschäfte erledigen sie zu Hause über E-Banking. Somit braucht es immer weniger Filialen. Diese Entwicklung ist gleichzeitig auch bei der Post zu sehen. Nur sind Schliessungen von Postfilialen ein Politikum. Die lokalen Behörden und die Bevölkerung versuchen, das zu verhindern. Dabei gibt es ja von der Post Ersatzdienstleistungen für wegfallende Filialen, wie zum Beispiel Postagenturen beim Einkaufsladen im Dorf. Bei den Banken ist es kein Politikum; man nimmt das hin.

Wozu braucht es überhaupt noch Filialen? Alle Geschäfte können heute aus der Distanz erledigt werden. Beratung geht übers Internet oder Telefon in der Regel ebenso gut. Und wenn wir den Roboadvisor einsetzen, dann braucht es die Beratung durch Menschen nicht mehr.

Schon Oliver Samwer, einer der Gründer von Zalando, sagte im Juni 2014 in einem Vortrag:

«Geschäfte sind Mittelalter, sie wurden nur gebaut, weil es damals kein Internet gab.»

Diese Aussage kann man natürlich anfeinden, keine Frage. Wenn man sie nüchtern und sachlich betrachtet, dann muss man ihm recht geben. Wozu braucht es noch Ladengeschäfte, wenn es doch das Internet gibt? Erinnern Sie sich an die Geschichte im ersten Kapitel, wo Luca mit seinem Opa in die Stadt fährt, um in einem Showroom Produkte anzusehen, wie das Apple schon heute in seinen Stores macht? Transaktionen werden in diesem Szenario im Jahr 2030 entweder im Showroom oder ausschliesslich online getätigt.

Wozu braucht es denn noch Bank- oder Postfilialen, wenn wir alles online abwickeln können?

Die Bank 2030 wird somit eine App sein, auf welchem Gerät auch immer. Die Kunden können alle ihre Bankgeschäfte dort abwickeln. Das gilt sowohl fürs Retail Banking wie auch fürs Private Banking. Spezialgeschäfte wie Mergers & Acquisitions oder Börsengänge hingegen werden weiterhin durch speziell geschulte und erfahrene Personen abgewickelt.

Blockchain

Das Internet hat die Art und Weise, wie wir kommunizieren (E-Mail, Social Media), verändert. Mit der Blockchain kommt nun − nicht nur für die Banken − eine Technologie auf uns zu, die unsere Art und Weise, wie wir Geschäfte und Transaktionen durchführen, völlig verändern wird.

Wenn ich heute, Ende 2016, Leute frage, ob sie schon einmal von der Blockchain gehört haben, dann verneinen neun von zehn. Wenn ich aber die Leute frage, ob sie schon mal etwas von Bitcoin gehört haben, dann bejahen die meisten das. Blockchain ist die Basistechnologie für Eigentumsübertragungen. Bitcoin ist eine Cryptocurrency (Kryptowährung, Geld in Form digitaler Zahlungsmittel), die auf der Blockchain basiert. Ich möchte hier nicht auf die Technologie eingehen, sondern auf deren disruptives Potenzial.

Was aber die Blockchain genau ist, lasse ich lieber Konrad Hummler erklären, der es in seinem Artikel «Blockchain – der nächste Wohlstandsschock» in der NZZ vom 3. Mai 2016 auf den Punkt bringt (http://www.nzz.ch/finanzen/private-finanzen/herausforderung-fuer-banken-und-den-staat-blockchain-der-naechste-wohlstandsschock-ld.17609):

  • «Blockchain ist mehr als eine digitale Technologie. Es ist ein System, das die Chance bietet, Eigentumsverhältnisse viel einfacher und günstiger zu sichern und zu ordnen. Das wird Konsequenzen haben.»
  • «Doch was ist eine Blockchain tatsächlich? Wie lässt sich der Kern dieses Phänomens beschreiben? Was wäre die kürzeste aller Definitionen? Mein Versuch lautet folgendermassen: Blockchain ist ein System, das kraft seiner lückenlosen und nicht veränderbaren Historie Beweiskraft erlangt, um Eigentumsverhältnisse zu regeln.» 
  • «Wenn aber die herkömmliche Gewährleistung von Eigentum gleich vierfach kostspielig und letztlich auch unsicher ist, so ruft dies geradezu nach einem System, das idealerweise Eigentum ohne institutionelle Verankerung zulässt. Ein solches System, das kraft seiner lückenlosen und nicht veränderbaren Historie Beweiskraft erlangt, um Eigentumsverhältnisse zu regeln, ist Blockchain.»

Vielleicht war Ihnen das noch zu abstrakt. Damit Sie die Blockchain wirklich verstehen, sollten Sie unbedingt den folgenden Videobeitrag des Schweizer Fernsehens vom 1. Februar 2016 ansehen. Als ich in Wien vor einhundert Bankern meinen Vortrag hielt und den folgenden Beitrag ausschnittweise zeigte, meinte ein Zuhörer, dass ein Schweizer nach Wien komme müsse, damit er die Blockchain endlich verstehe. Also, schauen Sie bitte unbedingt den Beitrag an. Den Link dazu finden Sie hier: www.srf.ch/play/tv/eco/video/blockchain-die-finanzwelt-im-banne-der-bitcoin-technologie?id=96fecba5-283f-4d02-a530-88c409bbbef4 oder in der Kurzform https://goo.gl/ulVOtl.

Blockchain: Die Finanzwelt im Banne der Bitcoin-Technologie (Bildquelle: © Schweizer Radio und Fernsehen, Eco vom 1.2.2016)

Dank der Blockchain können künftig jegliche Eigentumsübertragungen erfolgen. Die Blockchain wurde konzipiert, um Verträge abwickeln zu können. Ein Barkauf an einem Kiosk beispielsweise ist ein formloser Vertrag, der mit dem Kauf zustande gekommen ist. Die Finanztransaktion ist die Erfüllung des Vertrages.

So können dank der Blockchain nicht nur Verträge für Geldtransaktionen abgewickelt werden, sondern auch einfache oder komplexere Verträge. Dadurch wird eines Tages das Grundbuchamt oder das Handelsregisteramt überflüssig, weil auch das letztlich Verträge oder Eigentumsübertragungen sind, die mit der Basistechnologie Blockchain erfolgen können. Letztlich braucht es dafür eine Anwendung, die auf der Blockchain aufbaut.

Die Blockchain ermöglicht auch sogenannte Smart Contracts. In Smart Contracts können zum Beispiel Abhängigkeiten integriert werden. Angenommen, Sie haben Ihr Auto geleast, und Sie haben vergessen, die letzte Rate zu zahlen. Wenn Sie nun in Ihr Auto einsteigen, dann können Sie es nicht starten, weil die Bedingung der Ratenzahlung nicht erfüllt ist.

Doch wieder zurück zu den Banken. Dank der Blockchain braucht es keine Bank mehr, die das Geschäft abwickelt. Menschen können dank der Blockchain Geld oder andere Eigentümer ohne «Zwischenhändler» übertragen. An dieser Stelle werfen die Leute immer ein, dass das ja nicht sicher sein könne. Sie vertrauen ihrer Bank. Wenn Sie aber den Bericht des Schweizer Fernsehens etwas weiter oben angeschaut haben, dann wissen Sie, dass das Gegenteil der Fall ist.

Ihre Transaktion wird nicht nur auf einem, sondern auf Tausenden Servern in der Cloud gespeichert. Würde nun einer dieser Server gehackt werden, würden die anderen Alarm schlagen. Ein gleichzeitiges Hacken aller Server wäre ein Ding der Unmöglichkeit.

Gemäss Johann Gevers, Gründer und CEO der Firma Monetas, ist das Bitcoin-Netzwerk heute in der Lage, pro Sekunde sieben Transaktionen durchzuführen. Alleine VISA führt pro Sekunde 2000 Transaktionen weltweit durch. Bitcoin könnte also noch keine Ersatzwährung für alle Transaktionen weltweit sein − denn diese betragen weltweit 500‘000 pro Sekunde (Gevers Johann, The Future of Finance, Hayek-Feder Nr. 8, Oktober 2016).

Bitcoin stellt laut Gevers die erste Generation Blockchain dar. Das Zuger Start-up Ethereum, das bereits zu den Unicorns des Internets gezählt wird (Wert über eine Milliarde US-Dollar), hat die zweite Generation Blockchain entwickelt. Und es gibt mit Tezos bereits die dritte Generation der Blockchain. Jede disruptive Technologie hat neben dem revolutionären auch einen evolutionären Ansatz. Sie entwickelt sich in Schritten.

Es gibt derzeit auch kritische Stimmen gegenüber der Blockchain. Berichte, dass die Disruption in der Fintechszene nicht stattfinde, häufen sich in letzter Zeit. Wenn Sie Banker sind, dann werden Sie diese Berichte gerne zur Kenntnis nehmen. Das taten die Verleger auch, als Rupert Murdoch sagte, die Zeit des Internets sei bald vorüber.

Antony Jenkins, der ehemalige CEO der britischen Bank Barclays, drückte es in einer Rede im November 2015 wie folgt aus: «Banken werden bald ihre ‹UBER-Momente› erleben.» (http://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Trend-News/Die-Angst-vor-dem-Uber-Moment).

Die Banken werden sich ähnlich der Telekommunikationsunternehmen neu erfinden müssen. Banken werden möglicherweise zum «Trusted Advisor» (vertrauenswürdiger Berater) und zum Anbieter von integrierten Finanzdienstleistungen. Extreme Ansichten gehen sogar soweit, dass 2030 Banken nur noch Transaktionsprovider ohne Kundenkontakt und ohne Filialen sind.

So passt zum Abschluss dieses Themas über die Blockchain ein Zitat von Bill Gates aus dem Jahre 1994 perfekt:

«Banking is essential, Banks are not.»

So taufte ich meinen Vortrag für die UBS in Anlehnung an dieses Zitat: «Banking braucht es immer, braucht es dazu auch Banken?» Wir werden sehen, wer recht bekommt. Letztlich entscheidet immer der Markt.

Wie geht es mit der Disruption weiter?

Wenn Sie vielleicht gedacht haben, die Blockchain sei die letzte disruptive Technologie gewesen, so muss ich Sie leider enttäuschen. Die Entwicklung geht munter weiter.

Das Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) in Rüschlikon am Zürichsee in der Schweiz veröffentlicht ab und zu seine Übersicht über die Disruption und in welcher Phase sich diese befindet. Auf der einen Achse sehen wir die Technologie und auf der anderen das Bewusstsein (Mindset). Bei der Technologie beginnt es bei der Vision, geht über Prototypen und endet dann, wenn es für uns ganz natürlich und normal ist. Beim Mindset beginnt die Skala bei «fremd» und «nicht akzeptiert», bis wir auch diese Denkweise als ganz natürlich empfinden.

Das Fernsehen beispielsweise ist vom Bewusstsein wie auch von der Technologie her etwas völlig Normales für uns. Auch diese Technologie war einmal fremd oder eine Vision, wenn man in der Zeit weit genug zurückgeht.

Telepathie zum Beispiel ist auf der Übersicht bei der Technologie im Prototypenstadium und im Bewusstsein noch nicht akzeptiert, ausser vielleicht in Nischen.

Das Drucken von Organen (Organ Printing) ist technologisch punktuell ebenfalls schon möglich und in der Gesellschaft akzeptiert, weil es ja einen Nutzen generiert. Man kann heute schon – wie im Kapitel  über den 3D-Druck kurz erwähnt −, menschliche Haut und Ohren drucken. Wer durch einen Brandunfall seine Haut oder Ohren dank dem 3D-Drucker ersetzen kann, wird von dieser Technologie begeistert sein. Zum Beispiel wäre Niki Lauda, der frühere Formel-1-Pilot, im Jahre 1976 nach seinem schrecklichen Unfall froh gewesen, man hätte schon damals Haut und Ohren drucken können.

Die Übersicht des GDI stammt aus dem Jahre 2014. Eine neuere gibt es bis dato leider nicht. Somit muss man diese zwei Jahre in der Entwicklung berücksichtigen.

Übersicht Disruption nach Technologie und Mindset (Quelle: Gottlieb Duttweiler Institute, http://www.gdi.ch/i2d/index.html, Concept: Cisco, GDI Gottlieb Duttweiler Institute. Stages of technological development based upon Pyramid of Technology model by Van Mensvoort, 2014)

Die Disruption wird tiefgreifenden Einfluss auf unser Leben haben. Wir haben alle hautnah erlebt, wie wir heute völlig anders als früher kommunizieren. Die Erfindung disruptiver Technologien wird weitergehen.

Es gibt die Erfinder und Gründer, die neue Technologien und Geschäftsmodelle vorwärtstreiben. Auf der anderen Seite gibt es die, die das verhindern wollen, die keinen Fortschritt um jeden Preis wollen. So wehrt sich die Schweizer Gewerkschaft Unia offen gegen die «UBERisierung».

Doch können wir das aufhalten, was begonnen und angestossen wurde?

Wenn wir sehen, welche Innovationskraft gewisse Exponenten an den Tag legen, da wird es den einen angst und bange, andere wie die Zukunftsmissionare und -botschafter freuen sich darauf. Das ist einfach eine Frage des Standpunkts.

Wenn wir hören, dass der Gründer von PayPal, SpaceX und Tesla, Elon Musk, den Mars erobern will und bis 2019 über 4’400 Satelliten ins All schiessen will, damit er die ganze Welt mit Drahtlos-Internet verbinden kann, dann ist kein Ende solch grosser Ideen in Sicht.

Als die Schweiz in den 1880er-Jahren den 15 Kilometer langen Gotthardtunnel gebaut hatte, war das für die damalige Zeit eine ungeheure Leistung. Gleich anschliessend, von 1896 bis 1912, wurde die Jungfraubahn gebaut. Die kühne Idee damals war es, eine Bahn bis auf die 4’158 Meter hohe Jungfrau zu bauen. Man schaffte es schliesslich aus finanziellen Gründen «nur» bis auf 3’454 m ü. M., wo heute auf dem Jungfraujoch die höchste Bahnstation Europas betrieben wird. Heute ist das ein Touristenmagnet sondergleichen. Heerscharen von Asiaten werden jährlich da hochgekarrt. Damals gab es bei uns in der Schweiz, in Europa, die Leute mit solch verrückten Ideen und Visionen. Es braucht diese Leute, damit wir uns weiterentwickeln.

Heute müssten wir bestimmt zuerst mehrere Unverträglichkeitsprüfungen (UVP) durchführen. Ich glaube deshalb nicht, dass die Jungfraubahn heute nochmals gebaut werden könnte. Nichts gegen eine UVP, aber das hindert die Umsetzung von Visionen doch ganz erheblich.

Die Visionäre der Digitalisierung sitzen heute vorwiegend in den USA: Google, Jeff Bezos von Amazon, Elon Musk (PayPal, SpaceX, Tesla), UBER, Airbnb, Watson (IBM) und noch viele Hundert Start-ups mit neuen, grossartigen Ideen. Apple zähle ich seit dem Tod von Steve Jobs nicht mehr dazu. Sie betreiben ein gutes «Versionsmanagement» und eilen von einer iOS- und iPhone-Version zur nächsten. Die grossen revolutionären Ideen aber fehlen heute.

Es gibt auch immer wieder Rückschläge zu verzeichnen. Jede neue Technologie braucht ihre Zeit bis zu einem hohen Reifegrad.

Seien Sie offen für alle Entwicklungen. Die Bewahrer und Verhinderer werden eines Tages weggeUBERt werden, und den Umsatz von morgen machen die Andersdenkenden von heute.

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